Rede zur Lage der Union: Anspruch und Wirklichkeit

Die Rede von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zur Lage der Union war engagiert, klar in der Analyse und ambitioniert im Ton.

Sie hat die großen Herausforderungen benannt, vor denen Europa steht: den Krieg Russlands gegen die Ukraine, eine Welt im Umbruch, wirtschaftliche Abhängigkeiten, die uns verwundbar machen. Gerade in solchen Zeiten braucht es ein starkes und geschlossenes Europa.

Viele Punkte verdienen ausdrücklich Unterstützung. Die geplante Stärkung von Erasmus+ und den Jugendprogrammen ist ein Signal an die junge Generation, dass Europa in sie investiert. Auch die Ankündigung eines Media Resilience Programms ist ein Schritt, um unabhängige Presse und freie Meinungsbildung in Zeiten wachsender Desinformation zu sichern. Ebenso wichtig ist der Fahrplan zur Vertiefung des Binnenmarktes, besonders mit der neuen „fünften Freiheit“ für Wissen und Innovation. Forschung und Kreativität sind Europas Zukunft, und es ist höchste Zeit, dass sie ins Zentrum unserer Politik rücken.

Aber: Anspruch und Wirklichkeit klaffen noch auseinander. Ob bei Medienförderung, Erasmus+ oder Binnenmarkt – all das bleibt wirkungslos, wenn wir diese Initiativen nicht im Haushalt solide absichern. Ohne ausreichend Mittel im nächsten mehrjährigen Finanzrahmen bleiben es gute Ankündigungen, aber nicht mehr. Und wir laufen Gefahr, junge Menschen und Forschende zu enttäuschen, wenn die Versprechen nicht eingelöst werden.

Auch beim Klimaschutz bleibt die Frage offen, ob wir den Weg dorthin klug gestalten. Die Ziele stehen außer Zweifel. Doch mit starren Vorgaben und überbordender Bürokratie schaffen wir keine Innovation, sondern verhindern sie. Europa braucht Flexibilität, damit Unternehmen und Forschungseinrichtungen schneller mit alternativen Technologien vorankommen können. Gerade die geplanten Omnibus-Pakete müssen deshalb so ausgestaltet werden, dass sie wirklich Bürokratie abbauen und Wirkung entfalten – nicht weniger Klimaschutz, sondern mehr Effizienz.

Am Ende bleibt ein weiterer Punkt, der mir wichtig ist: Die politische Kultur im Europäischen Parlament. Wir erleben eine wachsende Polarisierung, die Debatten verhärtet und Kompromisse erschwert. Gute Lösungen entstehen aber nicht aus Schlagabtausch, sondern aus Sachlichkeit und ernsthafter Auseinandersetzung. Wenn Europa die Stärke entfalten soll, die heute beschworen wurde, dann müssen wir uns auch im Parlament auf das Wesentliche konzentrieren – auf das, was Menschen in ganz Europa konkret weiterbringt.

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