Vorsitz gewechselt, Richtung bleibt: Dänemark übernimmt, Europa verhandelt weiter
Seit dem 1. Juli liegt die Ratspräsidentschaft der Europäischen Union in dänischer Hand. Für ein halbes Jahr setzt Kopenhagen nun die Akzente – bei Ministerräten, Verhandlungen, Gesetzesinitiativen. Wer den Vorsitz innehat, hat keinen Freifahrtschein, aber Gestaltungsspielraum: für Tempo, für Tonlage, für politische Schwerpunkte.
Der Wechsel folgt einem festen Rhythmus. Alle sechs Monate übernimmt ein anderes Mitgliedsland den Vorsitz – ein Prinzip, das die Gleichbehandlung der Staaten sichert, aber auch dafür sorgt, dass verschiedene Perspektiven ihren Platz in der europäischen Agenda finden. Damit dabei kein Bruch entsteht, arbeiten jeweils drei aufeinanderfolgende Länder eng zusammen. Polen, Dänemark und Zypern bilden das aktuelle Trio – ihre gemeinsamen Prioritäten haben sie früh abgestimmt.
Polen hat in seiner Amtszeit politische Arbeit geleistet, die man nicht übersehen kann. 37 Gesetzesvorhaben wurden unter polnischer Führung abgeschlossen, 18 weitere substanziell vorangebracht. Die Einigung auf die SAFE-Verordnung, die die europäische Verteidigungsindustrie stärken soll, war ein wichtiger Meilenstein – ebenso wie das 17. Sanktionspaket gegen Russland oder die Fortschritte bei der humanitären Unterstützung für die Ukraine. Für das Europäische Parlament war das ein intensives, forderndes halbes Jahr – mit konkreten Ergebnissen in Bereichen, die Europa gerade besonders herausfordern.
Dänemark übernimmt in einem Moment, in dem Kontinuität ebenso gefragt ist wie politischer Mut. Die dänische Regierung hat ihre Agenda klar umrissen: ein sicheres, wettbewerbsfähiges und klimafestes Europa. Dabei geht es nicht um eine Vision auf dem Papier, sondern um konkrete Fragen, die politische Entscheidungen verlangen. Wie sichern wir unsere Verteidigungsfähigkeit angesichts geopolitischer Risiken? Wie schaffen wir die grüne Transformation, ohne unseren wirtschaftlichen Handlungsspielraum zu verlieren? Und wie machen wir Europa handlungsfähiger – nach außen wie nach innen?
Die dänische Präsidentschaft will diese Fragen nicht aufschieben. Die Klimaziele der EU für 2040 sollen noch vor dem UN-Gipfel im Herbst verhandelt werden. Die Einbindung der ukrainischen Verteidigungsindustrie in den europäischen Binnenmarkt wird konkret vorbereitet. Und auch in der Handelspolitik soll es Bewegung geben. Gleichzeitig starten die Haushaltsverhandlungen für das Jahr 2026 – und erstmals auch die Gespräche über den nächsten langfristigen Finanzrahmen. Wer jetzt die Weichen falsch stellt, wird die Folgen noch über Jahre spüren.
Doch es geht nicht nur um neue Initiativen. In etlichen Bereichen herrscht Stillstand – bei der Rückführungspraxis, beim Umgang mit sicherer Drittstaatenregelung, bei digitalen Verfahren zur Arbeitsmigration oder beim Schutz von Kindern vor Missbrauch im Netz. Hier wird Dänemark vermitteln müssen, um Bewegung in festgefahrene Dossiers zu bringen. Für uns im Parlament heißt das: Kompromisslinien finden, ohne zentrale Grundsätze aufzugeben. Es geht um Klarheit – nicht um Kosmetik.
Dänemark bringt in diese Rolle Erfahrung und Sachlichkeit ein, einen nüchternen Blick auf das Machbare, aber auch das Selbstverständnis, dass europäische Einigung kein Automatismus ist. Gerade in den kommenden Monaten wird es auf Präsenz, Dialogfähigkeit und Verlässlichkeit ankommen – zwischen Ministerien, Fraktionen und Institutionen. Denn so sehr sich Vorsitz und Regierungssitz ändern mögen: Die politische Arbeit hört nicht auf. Sie geht weiter – oft im Kleinen, manchmal in kontroversen Diskussionen, aber immer im Ziel, Europa gemeinsam voranzubringen.